Riesiger Speicher soll die Spree schützen: Neben dem BND entsteht Berlins größte Regentonne

2022-10-22 20:48:48 By : Mr. Reagan Ren

Der gigantische Tank an der Chausseestraße soll ein Problem lindern, das nur durch radikalen Umbau der Stadt zu lösen ist. Er muss jedoch erst fertiggebaut werden.

Der Bundesnachrichtendienst bekommt einen neuen Nachbarn, der sich zu tarnen weiß: Neben der BND-Zentrale an der Chausseestraße in Mitte errichten die Berliner Wasserbetriebe zurzeit das mit Abstand größte Einzelprojekt ihres Abwasserspeicherprogramms. Diese Speicher sollen verhindern, dass bei starkem Regen die innerstädtische Mischkanalisation überläuft, also ein verdünntes Gemisch aus Haus- und Straßenabwässern in die Gewässer rauscht.

Ein grüner und ein gelber Bagger lassen tagein, tagaus ihre Schaufeln in ein mit Grundwasser halb gefülltes, riesiges rundes Becken platschen, das auf dem einstigen Baucontainerplatz der BND- Baustelle errichtet worden ist. Genauer gesagt ist es in Gestalt einer ringförmigen Betonwand unter diesem Platz errichtet worden und wird nun ausgegraben. 20 von 23 Metern Tiefe sind nach Auskunft von Bauleiter Jens Richter geschafft. Aber jetzt, nachdem die Bagger die Sand- und die Geröllschicht hinter sich gelassen haben, kämpfen sie sich durch Mergel, der fast so fest ist wie Zement. In schweren Brocken klatscht er aus den Schaufeln an den Beckenrand.

Noch vier Jahre soll es dauern, bis der Speicher in Betrieb genommen wird – dann mit Betonsohle, die mit stählernen Ankern gegen den Auftrieb des Grundwassers gesichert wird. Und mit einem dicken Betondeckel, über dem Gras wachsen soll und der Bezirk Mitte den Bau eines Spielplatzes plant. Die Kinder schaukeln, rutschen und klettern dann auf einem Gefäß herum, das mit 16.750 Kubikmetern so viel Wasser fasst wie sechs bis sieben olympische Schwimmbecken.

Nur dass in dieses Becken nahe dem U-Bahnhof Schwartzkopffstraße eine Brühe läuft, in der niemand baden sollte. In der dicht bebauten Umgebung ist kein Platz, um alles Regenwasser bei Unwettern versickern zu lassen. Aber dank dem Speicher soll es nur noch in seltenen Ausnahmefällen ungeklärt in die Spree rauschen, sondern so lange zurückgehalten werden, bis die Klärwerke wieder Kapazitäten haben. Meist geht es nur um wenige Stunden, um den Tsunami zu einem steten Strom zu glätten.

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Wenn der Behälter nach dem Regen leergepumpt und die Brühe auf geordnetem Weg ins Klärwerk ist, wird der Speicher gespült und ist bereit für den nächsten Guss. Das Einzugsgebiet des neuen Speichers ist mit 750 Hektar doppelt so groß wie das Tempelhofer Feld und mit einem Versiegelungsgrad von 78 Prozent ein klassischer Problemfall. Denn auf versiegelten Flächen kann Wasser nicht versickern, sondern nur abfließen. Gemäß den Plänen des Stadtplaners James Hobrecht tut es das gemeinsam mit dem Hausabwasser.

Diese Art der Kanalisation war vor 150 Jahren revolutionär, aber erweist sich in der Klimakrise immer mehr als Problem, weil der ohnehin knappe Wassernachschub nicht das Grundwasser erreicht, sondern über die Gewässer aus der Stadt herausgeleitet wird – je nach Art des Regens mit einer Zwischenstation im Klärwerk oder eben als dreckiger Schwall, der die knappen Sauerstoffvorräte im immer wärmeren Spreewasser zusätzlich aufzehrt und die Badestellen an der Havel mit Algen und Keimen belastet.

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300.000 Kubikmeter Stauraum werden es insgesamt sein, die die Wasserbetriebe fürs Abwasser schaffen. Das Gros ist fertig, weit mehr als 100 Millionen Euro sind in den vergangenen 20 Jahren schon investiert worden in unterirdische Rückhaltebecken, Drosseln und Wehre.

Andreas Irmer, Chef der Abwasserableitung bei den Wasserbetrieben, sieht „die größte Regentonne Westeuropas“ neben dem BND als Finale des Programms, zu dem auch ein riesiges Becken unter dem Mauerpark gehört. Weitere große Speicher seien in der Innenstadt – auf die sich das Problem konzentriert – kaum machbar.

Statt für immer mehr Geld immer kleinteiligere Reservoirs zu schaffen, soll ein Paradigmenwechsel kommen: „Wir müssen uns mit aller Kraft auf die Schwammstadt konzentrieren“, sagt Irmer. Also darauf, dass möglichst viel Regenwasser an Ort und Stelle genutzt wird – zur Grundwasserbildung oder zur Bewässerung der nächstgelegenen Bäume und Grünflächen. Auch Gründächer gelten als effektiv, weil sie kurzzeitig ebenfalls viel Wasser speichern und über die Verdunstung das Mikroklima verbessern können.

So klar das Ziel der saugfähigen „Schwammstadt“ ist, so schwierig erweist sich der Weg dorthin: Die von der rot-rot-grünen Vorgängerkoalition vereinbarte Abkopplung von einem Prozent der mit der Mischkanalisation verbundenen Fläche ist gescheitert. Das Ziel der aktuellen Koalition lautet: 20 Prozent weniger Einleitungen in den besonders belasteten Landwehrkanal.

Chancen für zusätzliche Speicher sieht Irmer dort kaum. Bleibt also nur noch die Schwammwerdung. Die kann hier und da durch einfache Mittel befördert werden, indem beispielsweise ein erneuerter Gehweg nicht mehr zu den Gullys hin geneigt wird, sondern zu den Baumscheiben. Aber um wirklich voranzukommen, muss massiv Fläche entsiegelt werden – etwa von Parkplätzen. Irmer rechnet mit harten Kämpfen, die eigentlich längst überfällig seien.

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